Nicht nur zur Weihnachtszeit

Frieden braucht Symbole. Aber ein Symbol ist eben nicht die Sache selbst. Darum hat es die Neigung, sich zu verselbständigen. Es löst sich ab von dem, was es repräsentiert, und wird inhaltsleer. Diese Leere kann mit allem Möglichen gefüllt werden. Die „Deutsche Weihnacht“ ist ein hohl gewordenes Friedenssymbol par excellence. Der junge Autor Heinrich Böll erkannte 1952 klar wie kein anderer, dass es sich vorzüglich dazu eignen würde, mit Vergessen, Verdrängung und Verleugnung gefüllt zu werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verbreiten inmitten der zerstörten Städte alsbald wieder Kerzen und Lametta ihren milden, trügerischen Glanz in den noch ruinösen deutschen Wohnstuben: Es ist wieder Weihnachten, wie schön! Und Hand aufs Herz: Wie soll ein so friedvolles Volk all das Schreckliche getan haben, das man ihm jetzt anlastet? Das kann so schlimm ja wohl nicht gewesen sein. Am besten also, wir machen immer Weihnachten. Tante Milla spricht aus, was viele Deutsche in jener Zeit und auch später noch insgeheim dachten und wünschten: Es möge in der stillen und heiligen Nacht die schwere Last der Schuld einfach verschwinden.

von Heinrich Böll
Szenische Lesung mit Caroline Peters und Martin Brambach
eingerichtet von Gerhard Ahrens