Der Gott des Gemetzels

Zivilisierte Umgangsformen sind unter kultivierten Menschen üblich und angenehm, aber auf Dauer schwer durchzuhalten, wenn diese Menschen, wie sie selbst gestehen, in Wirklichkeit „fiese, cholerische Dreckschweine“ sind. Wenn es auch einiger „Anregung“ bedarf, bis sich diese Wirklichkeit Geltung verschafft, müssen dazu nicht unbedingt archaische äußere Verhältnisse walten oder haarsträubende Gefahren drohen. Yasmina Reza braucht in ihrem Stück nur ein paar Worte, einige schwache Reizsignale, um mitten im gutbürgerlichen Milieu unter vier Menschen, die sich eben noch für aufgeklärt und „nett“ hielten, pure Aggression freizusetzen.

Denn eigentlich ist Kultiviertheit, also die Fähigkeit, Zumutungen zu tolerieren, nicht der Normalzustand des Menschen. Vielmehr brauchte die Menschheit „eine gewisse Lehrzeit, um Gewalt durch Recht zu ersetzen“. In Wahrheit herrscht noch immer „der Gott des Gemetzels, dessen Gesetz seit Anfang der Zeit unverändert regiert“. Was zu beweisen war.

von Yasmina Reza
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel
Szenische Lesung mit Margarita Broich, Maria Schrader, Samuel Finzi und Wolfram Koch
eingerichtet von Gerhard Ahrens